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Sakrale Kunst und Volkskunst

Die tibetische Kunst ist zunächst in sakrale Kunst und Volkskunst zu unterscheiden. Natürlich sind auch weitergehende detaillierte Unterteilungen möglich. Die beiden Hauptkategorien der tibetischen Kunst haben ihren eigenen Stil und ihre eigenen Charakterzüge. Sie sind Ergebnisse eines langjährigen Austausches zwischen tibetischer Kunst und der Kunst der umliegenden Regionen. Viele Errungenschaften der Volkskunst haben ihren Niederschlag in der tibetischen Sakralkunst gefunden.

Im Folgenden werden unter dem Gesichtspunkt des Tourismus einige Aspekte aus den Bereichen bildende Kunst und Darbietungskunst erläutert.

Bildende Kunst

Wandmalerei

Die tibetischen Wandmalereien und Tangkas sind überall auf der Welt hochgeschätzt. Bei diesen Kunstwerken kommt es auf die Reinheit der Farbgebung und auf die Anordnung der Muster an. Die wiederholte Verwendung der Grundfarben Gelb, Blau, Rot und Grün verleiht den Kunstwerken ein symbolhaftes, tiefgründiges, dekoratives und spezifisch tibetisches Aussehen.

In der Geschichte deckten die Kunstwerke ein breites Spektrum von Motiven ab, dabei handelt es sich häufig um buddhistische Sagen, Überlieferungen, Geschichten, göttliche Verwandlungen, Darstellung vom Bau großer Klöster sowie um den intensiven Verkehr Tibets mit dem Landesinneren. Außerdem sind auf diesen Kunstwerken Szenen von der Jagd und vom landwirtschaftlichen Anbau zu sehen. Bildnisse von hochgebildeten buddhistischen Mönchen, Lebenden Buddhas und Kaisern der Ming- und Qing-Dynastie sind ebenfalls häufig zu betrachten. An den tibetischen Wandmalereien und Tangkas lässt sich nicht nur die übersinnliche mysteriöse Welt, sondern auch das reale Alltagsleben studieren. In den letzten Jahren ist eine große Anzahl von Tangkas in modernem Stil geschaffen worden. Viele davon sind Meisterwerke und weisen auf neue Entwicklungen in dieser traditionellen Kunst hin.

Thangkas

"Thangka" ist ein lautmalendes Wort; es bezeichnet auf bunte Seidenstoffe geklebte Rollbilder. Sie sind für Tibet charakteristisch. Sie sind meist länglich und haben kein festgelegtes Format. Die gedachte Mitte eines Bildes wird zunächst auf einen weißen Stoff gemalt, dieser wird dann in einen Rahmen gespannt und mit Klebstoff bestrichen. Auf dem so bearbeiteten Stoff werden Linien gezeichnet und Farben aufgetragen. Wenn die Bildmitte fertig ist, wird sie in bunte Seide gefasst. Auch die Rückseite wird mit einem Seidenstoff versehen. Die Vorderseite erhält zwei gelbe dünne Seidenschleier sowie zwei Seidenbänder. Oben und unten gibt es ie eine Bildrolle aus Ebenholz. Nach Material und Fertigungsverfahren unterscheidet man gezeichnete, aus Seide gewebte und gedruckte Thangkas. Als besonders wertvoll gelten gestrickte, aus Seide gewebte, mit buntem Stoff beklebte sowie Perlenthangkas.

Wind-Pferd-Banner (longda)

In Tibet sieht man oft Gebetsbanner, die mit einer Schnur an eine hohe Stange, an einen Dachfirst, an Türrahmen und an Torbögen geknüpft sind. Auf Bergpässen und Hängen sieht man auch oft vom Wind dorthin gewehte Papierfetzen. Solche Banner und Papierfetzen werden auf Tibetisch "longda" genannt, "long" bedeutet "Wind", und "da" "Pferd". In wörtlicher Übersetzung bedeutete "longda" also "Windpferd". Im übertragenen Sinne aber auch "Reichtumspferd", "Sutrabanner" oder "Gebetsbanner". Solche Banner werden aus Stoff oder Papier, in seltenen Fällen aber auch aus Hanf oder Seide gemacht. An einer Schnur werden sie in die Höhe gezogen und flattern geräuschvoll im Wind, der sie irgendwann in Fetzen reißt und diese überall hinweht. Die "Wind-Pferd-Banner" haben längliche Formen und unterschiedliche Formate. Charakteristischerweise befindet sich in der Bannermitte das Bild eines kostbaren Pferdes, das Flammen trägt. An den Bildecken sind Vögel mit goldenen Flügeln, Drachen, Tigern und Löwen dargestellt. Zwischen den Tierfiguren stehen Gebete und Wünsche. Auf manchen "Wind-Pferd-Bannern" sind auch Bilder von Buddhafiguren und buddhistischen Kostbarkeiten aufgedruckt. Die,,Wind-Pferde“ werden meistens im Blockdruck hergestellt. Diese Sitte rührt von Opferungszeremonien aus alter Zeit her. Nach der Lehre der Boen-Religion kann der Wind oben das Gebiet der himmlischen Gottheiten und unten die Götter von Wasser und Erde erreichen. Deshalb kann der Wind als Medium zwischen den Menschen und den Göttern vermitteln. Nach einer langen geschichtlichen Entwicklung werden heute die Wind-Pferd-Banner überall im Volk gebraucht. Aus Sicht vieler Menschen sind sie wertvolle Kunstgegenstände.

Plastik

Bei der tibetischen Plastik handelt es sich vor allem um Skulpturen aus Stein, Holz, Ton oder Metall.

Die frühesten Steinskulpturen stammen aus der Tubo-Dynastie, wie z.B. die Steinlöwen vor dem Grab des Königs in Qoingyi, oder die Löwen- und Elefantenfiguren aus weißem Mamor im Samye-Kloster. Es gibt auch viele Tonfiguren zu sakralen Zwecken, sie sind in der Regel ziemlich klein, zeigen aber nicht selten hohes künstlerisches Niveau. Holz- und Metallskulpturen sind häufig in Tempeln und Klöstern konzentriert. Die großen Meisterwerke der Plastik stehen im Potala-Palast, im Jokhang-Kloster und in den anderen Klöstern. Besonders zu erwähnen sind die Metallskulpturen. Ihre Anfertigung ist außerordentlich kompliziert; ihre künstlerische Meisterschaft löst Bewunderung aus. Die erstaunliche Kunstfertigkeit der tibetischen Künstler zeigt sich auch bei den von ihnen gefertigten  Masken. Es gibt Masken aus Holz, Kupfer und Ton.

Eine einzigartige künstlerische Leistung der Tibeter sind die bunten Figuren aus Butter. Die Butter wird mit verschiedenen mineralischen Farben gemischt und dann zu Figuren geformt. Es gibt Plastiken von Buddhas, Menschen, Blumen, Pflanzen, Tieren und Pagoden. Da die Butterfiguren nicht hitzeresistent sind, werden sie nur im Winter angefertigt und ausgestellt. Die größte Ausstellung dieser Kunstwerke findet am Abend des 15. Tages des ersten Monats nach dem tibetischen Kalender vor dem Jokhang Kloster in Lhasa statt.

Felsenmalereien

Bisher sind zahlreiche Felsenmalereien in den Kreisen Rutog und Gegyai im Bezirk Ngari, im Kreis Nyima im Bezirk Nagqu und im Kreis Baxoi im Bezirk Chamdo sowie am Namco-See entdeckt worden. Allein im Kreis Rutog sind Malereien an über zehn Felsengruppen zu sehen. Viele Felsenmalereien stammen aus sehr alter Zeit. Sehr bekannt sind die Felsenmalereien am Berg Gyiling. Vermutlich sind die ältesten Felsenmalereien auf das 2. Jahrhundert zu datieren.

Die Felsenmalereien zeichnen sich durch motivische VielfaIt aus, die sich auf Produktionstätigkeit, Leben, Jagd, Weiden, Kampf, religiöse Opferung, Umsiedlungen von Stämmen und Tanzdarbietungen bezieht. Diese Felsenmalereien bieten reales und zuverlässiges Quellenmaterial für die Erforschung der Geschichte Tibets. Sie wurden durch Eingravieren, Einritzen, Einreiben und Malen gefertigt; dabei wurden rote Mineralien als Farbe verwendet.

Grotten

In Tibet gibt es viele Grotten. Zu den wichtigsten gehören die bis vor wenigen Jahren noch wenig bekannten Grotten Donggar und Piyang sowie Chalha Lupo im Berg Yaowang in Lhasa.

Grotten Donggar und Piyang

Die Grotten Donggar und Piyang sind die größten bisher entdeckten buddhistischen Grotten in Tibet. Darin sind viele wertvolle Wandmalereien zu sehen, die eine Lücke bei der Erforschung der Grottenkunst im Altertum Chinas schließen. Donggar ist ein kleines Dorf im Kreis Zada. Die wertvollen Wandmalereien sind hauptsächlich in drei Grotten am Hang des Berges konzentriert. Die Grotte Piyang liegt unweit von den Grotten Donggar. Wenn man die Wandmalereien in der Grotte betrachtet, sieht man Figuren von Tieren, Menschen und Pflanzen, deren elegante Linienführung und prächtige Farbgebung zu bewundern sind. Mineralien sind da die Grundfarbstoffe. Es sind Figuren von Buddhas, verschiedener weiblicher Gottheiten, Schutzgottheiten, kraftvoller Menschen, Figuren aus buddhistischen Legenden sowie verschiedene dekorative Muster zu betrachten. Man erkennt auch zahlreiche Tiermotive, wie z.B. zwei einander verschlingende Drachen oder zwei sich gegenüber stehende Phönixe. Besonders zu erwähnen ist die fliegende Gottheit in verschiedenen Variationen, ihre Gestaltung wirkt besonders lebendig. Diese Grotten sind eine künstlerische Seltenheit in Tibet und deshalb besonders wertvoll. Die Experten haben festgestellt, dass die Wandmalereien in dieser Grotte etwa 1000 Jahre alt sind. Sie sind wertvoll für archäologische Forschungen wie für die Erforschung der Geschichte der Guge-Dynastie.

Grotte Chalha Lupo

Chalha Lupo ist ein kleiner grottenförmiger Tempel. Er wurde im 7. Jahrhundert ausgehoben. Diese Grotte ist nur knapp 3 m hoch und weniger als 5 m breit. In die Wände sind 69 Figuren gemeißelt. Unter diesen Figuren sind die von Songtsan Gampo, Prinzessin Wencheng, Prinzessin Chizun und Gar Tongtsan sowie Thonmi Sambhota am Felsen auf der nördlichen Seite, am Sutrawandelgang, besonders beeindruckend. Sie sind zwar nur gut 60 cm hoch, aber es sind originale Kunstwerke aus dem 7. Jahrhundert und deshalb von großer kunsthistorischer Bedeutung. Sie repräsentieren eine Epoche der bildenden Kunst in Tibet und tragen wesentlich zur Gesamtübersicht über die Grottenkunst im Altertum Chinas bei.

FelsenskuIpturen

In Tibet gibt es zahlreiche Felsenskulpturen; die bekanntesten sind auf dem Berg Yaowang in Lhasa zu finden.

Dort sind die Skulpturen vor allem an den Felsenwänden am südlichen Berghang verteilt. Der Felsen, aus dem eine großer Anzahl dicht aneinander stehender Buddhafiguren gehauen wurden, nennt man den ,,Felsen der tausend Buddhafiguren“. Auch heute noch werden immer wieder neue Figuren in die Felsenwände gemeißelt. Die ältesten Skulpturen an diesem Fels lassen sich auf das 7. Jahrhundert datieren. Es handelt sich hauptsächlich um Buddhafiguren, Schutzgottheiten, aber auch Menschenfiguren. Sie haben hohen historischen und künstlerischen Wert.

Die Skulpturen am Felsen Renda im Kreis Chagyab im Bezirk Chamdo sind ebenfalls bekannt. Durch Untersuchungen ist festgestellt worden, dass sie vor 1100 Jahren geschaffen wurden und die ältesten und best erhaltenen Felsenskulpturen aus der Zeit der Tubo-Dynastie sind.

Darbietungskunst

Tanz und Gesang

Die tibetische Nationalität zeichnet sich durch hohe künstlerische Begabung für Tanz und Gesang aus.

Die volkstümlichen Tänze und Gesänge sind je nach Region verschieden. Sehr bekannt ist der Trampeltanz, bei dem Tänzer Arm in Arm im Kreis tanzen und durch Trampeln den Takt angeben; auf dem Land ist auch der Gorshie-Tanz weit verbreitet, der unter Begleitung von Gesang auch im Kreis getanzt wird. Beim lustigen Duishie-Tanz gibt der Tritt der Tänzer den Takt an. Neben diesen Tänzen gibt es noch den vornehmen Shiangma-Tanz, eine Art Hoftanz, bei dem aber Gesang im Vordergrund steht. Ferner gibt es noch den rhythmischen Dashie-Tanz, ein Kreistanz, der vor allem im Waldgebiet verbreitet ist. Der Gorcho-Tanz wird in ländlichen und Weidegebieten gern mit grazilen Bewegungen getanzt. Beim Reba-Tanz werfen die Tänzerinnen im Takt ihre langen Ärmel in die Luft und lassen kleine Glöckchen ertönen. Der Semacho-Tanz und der Choshie-Tanz sind Trommeltänze. Mit Trommelschlägen wird der Takt angegeben. Der erstere ist vor allem in Osttibet, der letztere im Mittelteil Tibets verbreitet. Außerdem kennt man noch den Leshie-Tanz, bei dem der Arbeitseifer besonders zum Ausdruck kommen soll. Nicht zu vergessen ist der "Göttertanz", der an eine Pantomime erinnert. Zu erwähnen ist der aus westlichen Regionen jenseits der Großen Mauer eingeführte Hoftanz.

Der Gruppentanz im Kreis ist in Osttibet ebenso verbreitet wie in Südtibet, obwohl er dort anders genannt wird. Ein weit verbreiteter volkstümlicher Tanz ist der Chuo-Tanz, ein Gruppentanz im Kreis. An diesem Tanz nehmen wenigstens fünf bis sechs Personen, besser aber einige hundert teil. Die Tanzbewegungen sind flink und abwechslungsreich.

Beim Trommel- und Glöckchentanz tragen die Tänzer prächtige Trachten und eine größere Trommel. Sie stampfen im Rhythmus vorwärts und rückwärts. Bei anderen Tänzen werden Bewegungen aus dem Arbeitsalltag nachgeahmt: Saat ausbringen, Gras zupfen, Ernten, Melken und Buttern. Häufig wird beim Tanz und Gesang improvisiert.

Bemerkenswert sind zwei Gesangsformen: die eine ist der Wechselgesang, bei dem eine Gruppe von Männern und eine Gruppe von Frauen abwechselnd so lange im Wettstreit singen, bis eine gewinnt. Die andere ist ein Begleitgesang, der häufig bei Spielen verwendet wird. Das Wettstreitsingen ist in Tibet vor langer Zeit entstanden und kann die verschiedensten Themen behandeIn. Manche Gelehrte ordnen die tibetischen Tänze in vier Kategorien; in volkstümliche, religiöse, Hoftänze und Operntänze.

Tibetische Oper

Die tibetische Oper hat sich auf der Grundlage volkstümlicher Gesänge und Tänze entwickelt und ist eine der ältesten Operarten in der Opernkunst Chinas, sie ist zugleich auch ein Schatz der traditionellen tibetischen Kunst.

Die Themen der tibetischen Opern stammen meist aus volkstümlichen Überlieferungen und religiösen Geschichten. Die wichtigsten nennt man "acht große Opernstücke Tibets". Die Opern sind eine Mischung aus Rezitation, Gesang und Tanz. Es werden Geschichten erzählt oder in einer Art Bänkelgesang solistisch oder im Chor vorgetragen. Die Schauspieler tragen prächtige Trachten, verschiedene Masken und verwenden diverse Requisiten. Die Masken haben eine symbolische Bedeutung. Es gibt in der tibetischen Oper zwei große Schulen: Die eine verwendet häufig weiße Masken, die andere blaue. Die traditionelle Oper kennt keine strenge Vorschrift für den Aufführungsort. Auf fast jedem einfachen Gelände kann sie aufgeführt werden.

Opernaufführungen sind überall sehr beliebt, auch wenn die Requisiten oft sehr einfach sind. Immer wenn ein Fest zu feiern ist, wird eine tibetische Oper aufgeführt. Eine Aufführung ist unverzichtbar für das Gelingen der Feier. Beim Shoton-Fest steht  beispielsweise die Opernaufführung im Mittelpunkt. Die Zuschauer sehen sich alle mit Begeisterung an. Die tibetische Oper hat heute wesentlich reichere Inhalte als früher. Die Darstellungskunst hat sich vervollkommnet. Auch die kunstvoll gestalteten Kulissen und die Beleuchtung haben zur Entfaltung dieser großen Kunst beigetragen. Viele neu bearbeitete oder neu geschaffene Opern werden von einheimischen wie ausländischen Zuschauern laut bejubelt.

Bänkelgesang

Der tibetische Bänkelgesang ist in der Bevölkerung beliebt und weit verbreitet. Es gibt so genannte komische Monologe und Dialoge. Sie werden zum Teil von Instrumentalisten begleitet.

Das längste Heldenepos der Welt, König Gesar, ist als volkstümlicher Bänkelgesang weit verbreitet. Das Epos entstand im 11. Jahrhundert und wurde in der folgenden Zeit immer wieder erweitert, wodurch dann eine Reihe von Heldenfiguren mit König Gesar an der Spitze entstanden, die mutig und geschickt gegen die Kräfte des Bösen kämpften. Das ganze Werk ist großzügig angelegt, hat eine gar wundersame Handlung, eine kunstvolle Sprache und eine klare Thematik. In diesem Werk ist die Wirklichkeit des gesellschaftlichen Lebens im tibetischen Altertums festgehalten. Seit jeher ist das Heldenepos bei der Bevölkerung sehr beliebt. An verschiedenen Orten werden die Geschichten von Künstlern vorgetragen, die sich ganz auf dieses Epos spezialisiert haben. Im Laufe der Jahrhunderte sind zahlreiche Varianten des König Gesar entstanden und kursieren in verschiedenen Abschriften. In China wurde sogar ein spezielles Institut eingerichtet, das für die Erforschung, Bearbeitung, Übersetzung und Veröffentlichung zuständig ist.

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